Cimarron '78 - Ausgabe 6 - Dezember '78
Frankfurt
am Main, August 1810
Spottableiter. Kraftmenschen, Menschen von Stahl und
Eisen, die den Blitzen des Neids und der Verleumdung mehr als andere ausgesetzt
sind, müssen sich mit Spottableitern bewaffnen. Dann wird der Wetterstrahl statt
sie zu beschädigen, ihnen zur Glorie dienen. So kaufte Alkibiades den schönsten
Hund um 1000 Drachmen, schnitt ihm den Schwanz ab und ließ ihn durch die Gasse
Athens laufen. Das Volk lachte und versöhnte sich mit dem gefürchteten Manne,
weil er doch auch närrisch sein konnte.
Ludwig Börne
Im jüdischen Ghetto von Lodz wurde während der
deutschen Besetzung ein sogenannter Judenkönig ernannt, analog zu den
Judenräten, die in anderen Städten, Warschau z.B., für die reibungslose
Zusammenarbeit mit den Deutschen und für die prompte Ausführung aller
anfallenden Befehle zu sorgen hatten. Warum diese Ältesten das taten, weiß ich
nicht; vielleicht aus opportunistischen Gründen, um die eigene Haut zu retten,
das Unausweichbare weiter hinauszuschieben; vielleicht aus der irrealen,
absurden Hoffnung, den finster entschlossenen Bürokraten, den Papierhenkern,
doch noch etwas abzulisten, Menschlichkeit ihnen abzupressen durch
Wohlverhalten, sich so zwar schuldig zu machen durch Verrat, Zulieferung,
anderen dafür aber Rettung bringen zu können.
Sie sahen darin - möglicherweise - eine Chance, nicht
ganz gelähmt abwarten zu müssen.
Zum direkten Widerstand aber waren sie verdorben
durch langes, allzulanges Stillhalten.
Aus:
Der Judenkönig von Lodz
Aus: Folter mit
pharmakologischen Mitteln
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