Das Mädchen aus
dem Wald
Da lag ein dunkles Wesen, schlangenförmig,
auf dem Weg – und schien schon ganz Natur zu sein, aus Wasser, Erde,
Sand und Lehm. Es gab kein Oben und kein Unten. Wie konnte das
geschehn!
Ich kniete mich vor diesem seltsamen Gebilde ab, der
Wald war still, flatternde Nebelschwaden deckten alles zu.
Und
ich war dort allein mit mir und wußte nicht, was vor mir lag. Das
dunkle Wesen blieb bewegungslos, kein Atem drang zu mir.
Ich
wollte aufstehn, einfach weitergehn. Vielleicht lag doch ein Irrtum
vor... Da irrte ich! Ich hörte leises Plätschern, Wassertropfen, die
von einem Körper fielen, und Erde löste sich von einem
menschlichen Gesicht, das bis zum Hals befreit war von dem Schlamm –
ein junges Mädchen sah mich an, ein Torso, lächelnd, mit einem
grob verzerrten Mienenspiel. Ihr Schweigen war unendlich lang, so
schien es mir.
Auszug
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Auf unserer
Lebensbahn
Getragen von glänzenden Flügeln, wie
leicht das Schweben ist, such ich nach einem ruhigen Ort, und
überfliege Straßen, Plätze, Nachtquartiere, bin unsichtbar für jeden
fremden Blick, und höre die Gedanken unserer Zeit, im Wirbelwind
aus Zweifel, Neid und Übermut, und Liebe, und die Gespräche aus
geheimen Kammern, wo man sich über dunkle Machenschaften unterhält.
Wie schnell ein solches Fliegen uns ermüden kann.
Der Flug begann
so früh, und ich war so allein. Ich weiß nicht, wann das Fliegen
enden will. So viele Gesten und auch Worte dringen auf mich ein.
Die Stadt ist lange schon in ihrem Bild allein. Auf einem Hügel zeigt
sich das ersehnte Ziel.
Ich schüttle meine weißen Flügel ab,
und halte in der Hand ein Buch. Was es mir sagt, verrät es nicht.
Die Traumwelt der Gedanken spricht es an - und was uns widerfahren
kann auf unserer Lebensbahn: Aus Zweifel, Liebe, Neid und Übermut.
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Die Frau im blauen
Kleid
Die Schöne stand auf der Terrasse des
Chalets und sah aufs Meer. Ihr Haus lag oberhalb der Bucht, doch
unerreichbar für den Blick der Straße; und ich sah von der anderen
Seite, einem rauhen Land, der Schönen zu, und war verschwitzt,
nach einem langen Weg, begleitet nur von wilden Ziegen, und einem
endlos weiten Blick aufs Meer.
Ich hätte rufen können, und war
begeistert von dem blonden Haar, das eine wilde Brise aus dem
Mittelmeer, es war September, zärtlich in Bewegung hielt. Die
Schöne sah noch immer auf das Meer. Ich blickte auf den Berg, und war
verwirrt, nur nackte Felsen sahn mich an. Wie schön es wär, vor
einem prachtvollen Chalet im frischen Wind zu stehn – und auf das
Meer zu sehn.
Auszug
Der Horizont, das
Licht, die Zeit
Am Morgen sah ich das Meer. Weit
eingebettet in ein wunderbares Blau, begrenzt vom Horizont des
Lichts. Der frühe Wind umstrich mein Schiff, ich segelte und war
allein.
Sind die Gedanken wie ein Segeltuch, das uns
voranbringt? Wer führt das Ruder, unsere Hand?
So einsam wie
auf diesem Meer war ich noch nie.
Von einer alten Sehnsucht
abgetrieben, verlor ich mich im weiten Rund der Zeit. Ich rief
nach ihr, doch niemand hörte mich. Sie war so unergründlich wie das
Meer, und schaukelnd trugen ihre Wellen mich zu jedem Ziel, das
Ruder lag in ihrer Hand.
Nach meiner Rückkehr am Abend versank
der Horizont, das Licht, die Zeit; wie ähnlich sich die beiden sind.
Geliebt, gelacht,
die Seele aufgetankt
Wir haben dich erobert,
Augenblick der Lust, und unsere Sinne tief darin versenkt. Wir
warten auf das Fest!
Der graue Alltag liegt weit hinter uns,
wir haben ihn noch nie vermißt. Wir sind wie losgelöst von einem
schweren Druck; befreit von einer viel zu großen Last. Was ist das
nur für eine krumme Tour! Hier die Bedrängnis, dort die freie Zeit,
in der wir unsere Wünsche froh hinausposaunen können – und danach
kaum erkennen, wer wir wirklich sind.
Die lange Nacht
durchwacht, vom Schlaf so weit entfernt, geliebt, gelacht, die Seele
aufgetankt mit frischem Lebenselexier. Gestärkt im Innern, sind wir
viel zu spät erwacht, und haben keine Träne nachgeweint der alten
Lebenslast.
Wir haben dich erobert, Augenblick der Lust, und
unsere Sinne tief darin versenkt. Was war das für ein Fest!
In ihrem Garten
auf dem Land
Im Engelmonat fuhr ich zu ihr hin.
Der Sommer lag ermattet in den Feldern. Ein leichter Nebel kroch
durch dunkle Wälder. Und erster Rauhreif deckte schon die Wiesen zu.
Ich war gespannt auf diesen Herbst mit seinen Erntefreuden - und
auf das Wiedersehn mit ihr.
Im Staudenbeet, wo Dahlien,
Gladiolen, in zauberhaft gebrochenem Rot und violettem Ton, dem
später Sommer eine letzte Krönung brachten, traf ich auf sie; in
ihrem Arm ein Bündel Gladiolen, mit wunderschönen Blütenähren, so wie
ihr Lächeln, das den Blumen ähnlich war.
Und wie es immer war
an solchen Tagen, verloren wir uns gern im Blumenmeer des Gartens -
und seinen Blütenklängen, die aus den Formen und den Farben kamen.
Im Engelmonat, an den schönsten Erntetagen, in einer Zeit des
Glücks, wo wir in Liebe zueinander fanden.
Herzkammer der
Literatur
Sich begreifen können als ein Suchender,
der nicht weiß, welche Wege vor ihm liegen, die ihn kreuz und quer
durch Zeiten führen, deren Ablauf längst besiegelt ist; bis er
jenes Pochen hört, eines Herzens, das die Worte trägt, sie für uns
lebendig hält, und wir, ohne Angst, daß dies Schlagen unerwartet
abbricht, während wir zur Feder greifen, dieses Pochen in ein Lied
verwandeln, in Geschichten, die uns lange noch begleiten – aus der
Mitte unseres Lebens sind, und auch Trost in uns verbreiten – wessen
Herz wird nicht darüber glücklich sein!
Vergiß mein nicht
Erinnerung an Wilhelm Müllers schöne Müllerin
Es
legt sich mir ein Schauer auf die Haut, ein Tränenregen sucht mich
heim. Der ganze Himmel will in mir versunken sein, und nimmer laß
ich mich hinunter in die Tiefe ziehn; kein Singen und kein Klagen
weckt mich auf. Ich habe mich verirrt in einem finsteren Wald, kein
Mondlicht zeigt den Weg - ich bin in der Vergangenheit.
Zurückgekehrt erkenn ich kaum noch meine Zeit. Es gibt noch immer
einen Morgenstern, und auch die Lerche wirbelt in der Luft: Aus
tiefem Herzen sehn ich mich nach dir, vergiß mein nicht! Und
schläfst du auch in süßer Ruh’, in Gottes hellem Morgen, der Liebe
Leid und Sorgen wird vorübergehn. Mein Lied ist nur ein Nachklang aus
vergangener Zeit - die neue Liebe hält sich still verborgen.
Im Schatten des
Olivenbaums
Wenn lange schon der letzte Tag
vorüber ist, das Sommerlicht im Schatten des Olivenbaums, der uns
verschwiegen hat, aus welcher Zeit er stammt, tief eingekerbt ist in
dem alten Holz, die Winde nur ein feines Rauschen sind, und das
Palaver unter Menschen immer noch kein Ende nimmt, weiß ich, daß
es dich gibt, und daß auf unserer früheren Spur, die Leben hieß,
ein anderer geht, vertraut mit dir und mir. Wir waren nie allein, und
selbst am letzten Tag wird es wie früher sein. So leicht vergißt
man nicht; so leicht vergißt du nicht, was einst geschah – in einer
wundersamen Zeit, von der ich dir nicht sagen kann, ob sie ein
Traum war oder Wirklichkeit.
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