Cimarron bibliophil
Mal Pas (Am Ende eines Sommers)
Roman - 390
Seiten |
|
Wir lieben die Erinnerung an schöne Tage, die
unvergeßlichen Dinge, die uns mitunter lange begleiten. Sie sind der
Humus für unsere Träume. Und sie sind mehr. Sie lassen uns staunen über
die Fremdheit und Schönheit in der Welt. Allmählich erkennen wir, daß
unsere Erfahrungen ein Mosaik aus Bildern sind. Die Sehnsucht nach neuen
Bildern treibt uns über Kontinente und Meere. Unser Ziel ist der Wunsch,
niemals anzukommen. |
|
Sarah trug
einen zart gemusterten Wollrock, einen Rollkragenpulli und darüber eine
Lederjacke. Ihre blonde Haarpracht legte sich in einer
verschwenderischen Fülle auf die Schultern. Im Sommer war sie
dreiundzwanzig Jahre alt geworden. Das Leben besaß für sie noch den
Nimbus einer endlosen Jugendlichkeit. Sie verließ um die Mittagszeit
die Kanzlei, in der sie als Anwaltsgehilfin tätig war. Sarah hatte aus
Geldmangel ihr Jurastudium abbrechen müssen. Das lag schon eine Zeitlang
zurück. Ihr Weg führte sie von der Konstablerwache zur Freßgass‘. In
einer kleinen Seitenstraße wollte sie sich mit dem Onkel ihres Mannes
treffen. „Es ist besser, wenn wir uns allein sehen”, hatte der Onkel
gesagt. Sarah war klug genug, zu erkennen, wie wichtig dieses Gespräch
für Christian und sie sein konnte. Ihr erster gemeinsamer Urlaub in den
Süden war damit verbunden. Seit Wochen schon freute sie sich auf
diesen Tag. Das erste Mal würde sie mit Christian eine Flugreise
unternehmen. Zwei Wochen lang wollten sie dem tristen Grau der Stadt
entfliehen. Eine Insel im Mittelmeer wartete auf sie, mit wärmender
Sonne, langen Stränden und erholsamen Wanderwegen. So versprach es der
Prospekt. |
„Ist das Ihr
Ernst?” „Ja, Lady, das ist mein voller Ernst, im Namen einer
korrekten Linguistik. – Hören Sie, wir haben in dieser Nacht verbal
schon sehr viel geflirtet. Es hat mir Spaß gemacht, mit Ihnen zu reden.
Vergessen Sie aber nicht, daß ich ein Problem habe, das noch ungelöst
ist.” „Wo sind die Millionen!? – War es klug, ihn zu töten, bevor er
es Ihnen sagte?” „Bei kleinen Summen teilen wir Denkzettel aus...”
„Schneiden Sie ihm ein Ohr ab? Oder brechen Sie ihm ein Bein?” „Wenn
ich nicht wüßte, wer Sie sind, könnte ich denken, daß Sie aus Erfahrung
sprechen. Bei großen Summen, die uns verloren gehen, interessieren uns
die Leute nicht mehr.” „Wenn ich nicht wüßte, daß Sie ein...
ehrenwerter Dienstbote dubioser Auftraggeber sind, könnte ich denken,
daß Sie sogar mit Mitleid geschlagen sind.” Ihre Augen verrieten ihm,
daß sie auf dem besten Wege war, sich zu vergessen. Wesley wollte diesen
Zustand beschleunigen. Er holte vom Sideboard die Cognacflasche und
füllte erneut die Gläser. Sie war noch wach genug, zu erkennen, daß
ihrem ironischen Anschlag eine Erwiderung folgen würde. Nach dem
Genuß des Cognacs und ihrem gegenseitigen freundlichen Blickaustausch
brachte Wesley den entscheidenden Stein ins Rollen. „Es ist
beruhigend zu wissen, daß Sie den Unterschied zwischen Pflichterfüllung
und subjektiven Interessen erkannt haben. |
|
Die Kirche
lag in einer kleinen Straße, nicht weit vom Zentrum der Stadt. An der
hinteren Front erhob sich eine mannshohe Mauer mit einer Bogentür. Harry
durchschritt sie und befand sich im Innenhof des Gotteshauses. Zwei
der neun Kapuzinermönche, in deren Obhut die Liebfrauenkirche stand,
schritten gestikulierend auf eine Gruppe von Frauen zu. Harry wurde
Zeuge einer unchristlichen Begegnung. Die beiden Mönche, grauhaarig
und hochgewachsen, versuchten, eine Gruppe von abenteuerlich aussehenden
Frauen aus dem Innenhof zu vertreiben. Ein sprachliches Tohuwabohu
entstand unter Kirchgängern, Mönchen und rumänischen Bettlerinnen.
„Sie stehlen!” war von einer älteren Frau zu hören. – „Sie betteln in
der Kirche!” – „Wir sind Asylanten! Gebt uns zweihundert, dreihundert
Mark!” – „Ich weiß, wer ihr seid, verlaßt das Gotteshaus!” – „Wir sind
Asylanten!” – „Ja, ja, möchtet ihr wohl gern sein!” Die Frauen trugen
weite, bunte Röcke, darüber schwarze Jacken oder Pullover. Zwei Mädchen
im Schulalter waren darunter. Alle hatten die Haare hochgesteckt, einige
führten Plastiktüten mit sich, andere schwarze Taschen mit langen
Ledergurten. Ihre Gesichter verrieten einen desillusionierten Glauben an
Gott und die Welt. |
Prustend und
nach Luft schnappend tauchte er auf. Dicht über ihm wölbte sich ein
Fels, vor ihm lag die Weite des Meeres. Er fand einen Felsvorsprung, auf
dem er sich ausruhen konnte. Verrückte Gedanken bedrängten ihn. Er
könnte ins Meer hinausschwimmen, um nach Hilfe zu rufen. Vielleicht
erreichte er sogar eine flache Stelle, die ihn ans Land führen würde.
Dann dachte er an Wesley, der mit der Fackel und mit Angst in den Beinen
vor dem Eingang des zweiten Tunnels zurückgeblieben war. Doch langes
Nachdenken über die richtige Entscheidung war nicht Grants Sache. Sein
Puls schlug wieder normal. Der frische Sauerstoff füllte seine Lungen.
Er atmete noch einmal kräftig durch und verschwand dann im Eingang des
zweiten Tunnels. Das Licht begleitete ihn eine Weile. Danach kam eine
lange Dunkelheit, die er mit schnellen Schwimmstößen überwand. Seine
Luftreserve trieb ihn voran, ohne daß die Muskeln erlahmten. Kurz vor
dem Ziel spürte er einen Schwächeanfall in den Beinen, doch da glitzerte
schon schummriges Licht im Wasser, das von Wesleys Fackel herrührte. Er
war angekommen. Wieder zog er sich an Wesleys Körper hoch, während
dieser ihm aus dem Wasser half. Und wieder lehnte sich Grant, schwer
atmend, an seinen Partner, und Wesley legte einen Arm um ihn und
wartete, bis er sich beruhigt hatte. „Ich war draußen... Wir sind
gerettet...” Wesley fiel ein Stein vom Herzen. Seine Knie verloren ihr
Zittern. „Meinst du, daß ich es schaffen kann?” „Bleib hinter mir,
du mußt durchhalten, in der Mitte ist die Dunkelheit am schlimmsten,
aber dann, wenn du das erste Licht siehst, sind es nur noch wenige
Schwimmstöße zum Meer.” „Gut, ich werde hinter dir bleiben.” „Wenn
du draußen bist, paß auf, direkt über dir ist der Fels. Tauch nicht zu
kräftig auf.” „Okay, beim Auftauchen nicht zu schnell nach oben. Ich
bleibe dicht hinter dir.” „Richtig. Du wirst es schaffen. Denk an
England.” „Kannst du was erkennen, ich meine vom Land?” „Nein. Nur
Wasser ringsherum und steile Küste.” „Ich bleibe hinter dir, ich
bleibe hinter dir, für England.” „Für England!” So sehr liebten sie
ihre gottverlassene Insel. |
|
Das Haus, in dem er lebte,
glich einer burgähnlichen Finca, es lag nahe bei Pollenca auf einem
gewaltigen Hügel. Von seiner Terrasse konnte der Maure weit ins Land und
auf zwei der schönsten und größten Buchten der Insel blicken. Seit
Ende der achtziger Jahre betätigte er sich als Harry Versbachs
Schutzengel auf M., was er gern war. Adalberto liebte den Deutschen, er
kannte dessen Eigenarten und wußte schon im voraus, wie sich Harry in
der einen oder anderen Situation verhalten würde. Er sorgte dafür, daß
sein Schützling nach jedem Aufenhalt auf M. heil wieder nach Frankfurt
zurückkehrte. Ein einziges Mal war Harry einige Tage früher
zurückgeflogen, das war während seiner Zeit in Estellencs, im Winter der
frühen neunziger Jahre. Am liebsten dachte Adalberto an jene Zeit
zurück, als Harry und Helen in Lloret ein Apartment in einer von
Deutschen vermieteten Finca bewohnte. Dort schrieb Harry an einem
wackligen Holztisch seine ersten Gedichte über die Insel. Adalberto
konnte dem Drang nicht widerstehen, in die Manuskripte zu sehen, was
immer dann geschah, wenn Harry das Haus verlassen hatte, nach dem
Frühstück, das selten vor elf Uhr endete. Harry und Helen gehörten
zu den Touristen, die es ins Landesinnere zog; sie liebten die Berge und
Täler, die ausgetrockneten Flußläufe – und besonders jene einsamen
Stellen, an denen Apfelsinen und Feigen wuchsen. Sie wußten, wo es den
besten Kuchen und den wohlschmeckendsten Kaffee gab. Ihr schönstes
Vergnügen aber waren lange Wanderungen. |
„Nein!“ Er begleitet seine
verbale Ablehnung mit einem heftigen Kopfschütteln. „Ein Nomade hat ein
Ziel: Weidegründe, Wasserstellen für das Vieh. Ich verweigere mich der
menschlichen Bestimmung, irgendwo anzukommen. Ich bleibe nirgendwo, und
bin fast überall ich selbst und ein Verlorener, der sich sucht, oder
nach etwas sucht, manchmal ein Leben lang. Ich will Ihnen ein Geheimnis
verraten. Als Miss Beverly und ich auf den Spuren der Zisterzienser
waren, kam es wie eine Erleuchtung über mich. Es muß eine Grundspur des
Lebens geben, sagte ich mir. Ich sollte danach suchen. Dann hätte ich
ein Ziel, wohl wissend, daß es unerreichbar wäre. Und doch würde ich es
zu erreichen versuchen. Nichts anderes geschieht mit unserem Leben.
Jeder hat seine eigene Grundspur. Es gibt kein erreichbares,
wünschenswertes Ziel. Gäbe es dies, hätte ich es längst erreicht.“
Ich bin berührt. Die Gedanken in mir beginnen zu taumeln. Wer ist dieser
Mann? Sein verbindlicher Gesichtsausdruck gleicht einer Maske. Was
verbirgt sich hinter dieser freundlichen Maske? „Was sind das für
Geschichten, die sich in den alten Bauwerken der Zisterzienser
verbergen? Der Kreuzgang von Fontenay, Sie müssen ihn gesehen haben, im
Licht des Sommers: Hell atmende Steine, warmes Licht von seltener
Freundlichkeit bricht durch die Rundbögen, die Kapitelle sind von
graziler Anmut. Was für eine romanische Eleganz!“ |
|
Mal Pas - Roman - Band
21 |
|
Erstauflage |
Die ersten
drei (numerierten) Ausgaben bleiben beim Team. |
Buchumfang |
390 Seiten |
Reihe |
Cimarron bibliophil. Im
Prägestempel vom Autor numeriert und signiert. |
Text/handschriftl.
Vermerke/Foto |
Gregori Latsch,
Cimarron-Team |
Gestaltung/Satz/Laserdruck |
Doris Hess, Cimarron-Team |
Papier |
Vorsatz Bütten, wie auch
im Innenteil, u.a. Fein- und Transparentpapiere, Premium-Qualität. |
Buchblock |
A5-Format, von Hand
gebunden |
Einband |
Englische Broschur, Leinen
oder Leder. Nach Wunsch! Siehe untenstehende Ausführungen. Abbildung
ist grünes Leinen. |
Genre |
Reisebuch (s. Prolog). Der
Themenreichtum ist fast unerschöpflich. Dieses Buch kann dazu verführen,
es immer wieder zu lesen, und seien es auch nur einige Geschichten
daraus, die alle in einer geradlinigen Handlung miteinander
verwoben sind; und sich wiederfinden in einer charmanten Art, auf dem
Papier alles hautnah zu erleben, indem wir die Phantasie der Worte
nachempfinden. Ein Trost nicht nur in einer sonnenarmen Zeit auf einer
gottverlassenen Insel im Süden. |
Preis |
Leinenausgabe 390,00 €
Ganzlederausgabe 450,00 € (incl. Mwst. und frei Zustellung innerhalb
Deutschlands) |
|