Cimarron bibliophil

Eine Nation ist kein Garten Eden

Poetische Texte - 250 Seiten
Doppelband: Eine Nation ist kein Garten Eden/Mysterium

 

Das Glück in alten Schlössern finden.
Gut abgeschirmt von der Natur.
Mit Menschen, die schon längst gestorben sind,
durch Säle schreiten, an deren Wänden
kolossale Bilder hängen.

Im Spiegelsaal den Schein vom Leben widerspiegeln.
Am reich gedeckten Tisch sich laben.
Gemächlich durch die Bibliotheken schlendern.

Und wenn es Sommer ist, den hellen Kleidern folgen,
die uns zum Brunnen führen, durch den Park.

In alten Schlössern nach dem Sinn der Schönheit
suchen. Ich will zurück ins Schloß, dabei sein,
wenn die Zeit in alten Sälen ihre Zeit verträumt,
verträumt, verträumt.

Ich laß mich gern von diesem Traum verführen.
Wenn es Sommer ist
 
 

Requiem für eine Stadt

Nicht wegen der gleißenden Türme betrete
ich die Stadt. Wie sollte ich aus Steinen
eine Sprache nehmen und aus Eisen den
Gesang verbreiten können.

‘s muß der Mensch sein, der mit tausend
Augen träumt. Und nur in ihm erfüllt sich,
was kein Platz, kein Haus und auch kein stolzer
Dom verspricht: Lebendigkeit.

Und davon haben wir genug und schreien es
aus uns heraus: Wir sind die Welt! In uns
liegt alles Glück!

Und darum ändern wir uns nicht. Wir sind wie
Huskys, die zehn Tage lang den Schlitten ziehn -
durch eine gottverdammte Einsamkeit.

Der stille Wunsch, nicht aufzufallen, läßt uns
weitergehn - durch unsere Stadt, die unser buntes
Leben wie in einem Spinnennetz gefangen hat.
Aus diesem Kreis, gefüllt mit Hoffnung auf die
Gegenwart, bricht niemand gerne aus.

Beglückt begreifen wir, was für ein Trost die Masse
ist - und nehmen schnell Reißaus.

Ich liebe diese Stadt. Ich hasse ihre Welt.

   
   

Angela M. – Eine Hommage

Im Rat der Weisen findet ihr sie nicht.
Das ist der Ort, an dem man sich versteckt
vor unserer Welt. An diesem Platz verändert man
das Leid der andern nicht, man bleibt sich gleich.

Das paßt wohl nicht zu ihrem Lebensbild.
Partei-Räson wird gern zurückgedrängt. Und Freund-
lichkeit allein, so nützlich sie auch ist, ist doch nur
der Begleiter eines Kommentars, der weiterhelfen soll.

Sie drängt nach vorn, mit allen Fasern der Vernunft,
bleibt ausgewogen, sachlich – und immer eine Frau!
Und was an stillen Wünschen in ihr lebt – vielleicht einmal
ein anderer zu sein -, das hebt sie sich für später auf.

Es ist das Bild von einer Frau, in dieser schwergeprüften
Zeit, das uns zufrieden stimmt; es zeigt, wie leicht
die sanfte Art das alte Bild der männlichen Gewalt zur
Seite drängt. Wir atmen auf und lieben dieses Land!

Ein schöner Zauber, sich gleichzubleiben, und an jedem Tag
im Umgang mit der Macht ein anderes Gesicht zu zeigen.
Das ist ein harter Job! Im Herzen bleibt ein anderes Gefühl
zurück: Sich täglich zu beweisen, daß man glücklich ist.

   
   

Später Anruf

„Gregori Latsch, ich habe Sie gesehen, Sie waren
in der Stadt!“ – Ich war getrennt von meinem
kleinen weißen Tisch und folgte nur Helen. – „Was
für ein Zufall!“ – Was denn sonst! – „Verzeihen
Sie, wir hatten fast den gleichen Weg.“ – Na sowas! –
“Sie ließen sich erweichen und gaben der Zigeunerin
ein Eurostück. Sie wissen, daß die Frauen aus Rumänien
stammen und abgerichtet sind zum Betteln,
und ihre Männer ruhen sich in einer Villa aus.“ – Ich
wollte meine Ruhe haben, die Frauen sahen abgehärmt
und ausgehungert aus. – „Wir sind hier in Berlin! Die
Armut ist in dieser Stadt zuhaus.“ – Und was ist mit den
Reichen?, wollte ich ihn fragen. Sie sind auch überall
zuhaus. Es war gescheiter, ihn zu schonen, er zählte
sich zum oberen Mittelstand. – „Sie schreiben immer
noch Gedichte, und Ihre Aphorismen sind…“ – Er
verschluckte sich. Ich nenne sie die Texte mit poetischem
Charakter. Gedichte schreiben Leute aus Orpheus’
Unterwelt. Auch das verschwieg ich ihm. Ich ließ ihn
weiterreden, die Stimme überschlug sich vor Entzücken,
er konnte plaudern wie ein Wasserfall. Und was er alles
wußte! Durch mehrere Geschäfte ist er mir gefolgt,
und bis zum Auto nachgegangen. Das hat ihn nicht
gestört. Was für ein Glück für ihn! Nun kennt er auch
ein Stück von meinem Lebenslauf.

 
 

Hanswurste aus der Reichskanzlei. 1939.

Was waren das für Menschen, denen unsere Leute
im ersten Jahr des Krieges immer noch vertrauten,
die meine frühen Kindertage in Schutt und Asche
legten, aus deren Alltagsmasken der Irrsinn von
Gedanken blickte, die schon zu ihrer Zeit ein
Greuel waren für jene Zeitgenossen, die nicht
verstehen konnten, daß eine Staatsmacht in die
Hände von Verbrechern fiel?

Und diese Mörderbande steckte unsere Welt in Brand!

Nur ihre Bilder haben überlebt, die häßlichsten Gesichter
ihrer Zeit; und sie verraten uns, was hinter diesen ausdruckslosen
Fratzen steckte: Man faßt es nicht! Verräterisch die
Mimik, die Kleidung und ihr dümmliches Gebaren.
Und wenn sie sprachen, glaubte man, daß ein Hanswurst
aus einer Reichskanzlei des Kasperle-Theaters das Wort
ergreift, es grausam schüttelt und mit Füßen tritt.

Und heute denken wir, es wäre alles schon vorbei
und überwunden, was im Namen unserer Väter einst geschah.

Was waren das für Menschen, denen ich mit Haß begegne, was
mich betrübt und bitter werden läßt? Ich hasse keine Menschen!
Es waren ihre Taten, deren Unvernunft und beispiellose
Niedertracht, die den Haß erregten. Und das hält lange an. Aus
gutem Grund. Man darf ein solches Unrecht nicht vergessen.

 
 
Irgendwer ist immer unser Feind

Von einem dieser Männer sagt man auch,
daß ihn das gute Reden und Benehmen
nicht verbessern würde, und daß der edle
Zwirn, in dem er steckt, im Widerspruch zu
seinem häßlichen Charakter stehe, und
selbst, wenn er in Lumpen ginge, die
Augen und die Mimik ihn verraten würden.
Das nennt man ein Dilemma, das kaum
zu überwinden ist.
Und woher wissen wir, daß dieser Einzelfall
kein allgemeiner Zustand in gewissen Kreisen
ist? Und warum sagen wir nicht frei heraus,
wer die Betroffenen sind! Die hundsgemeinen
Diebe unser Zukunft fürchten nicht das Wort.
Sie halten weiterhin am Fortschritt ihrer
eigenen Interessen fest - und lachen über uns.
Was kommt dabei heraus? Wir nehmen dieses
ganze Pack und werfen es aus unserem
Lebenshaus - in einem großen, virtuellen
Akt. Ob das die Zeit verändert?
Wir wissen‘s nicht.

 
 

Der Küster, der Priester, der Dom -
und LOLA von den KINkS


An einem Montag im Dezember geschah etwas
Unerwartetes. Der Turmwächter unseres Domes
war in die Zinnen des Turmes gestiegen -

unablässig seinen Namen rufend: GOTT! GOTT! GOTT!

Ich erwartete nichts Gutes, und war gespannt, ob ER
antworten würde.

Das Rauschen des Verkehrs störte ihn nicht,
auch nicht die ernste Absicht des Suchenden,
sich in die Tiefe zu stürzen. Gott schwieg.

Der Priester sah nach oben und schimpfte.
Die ersten Touristen erschienen, klatschten
begeistert Beifall. Eine Kamera entdeckte den
Verzweifelten, sie schoß das Bild des Jahres.

Sekunden später erschrak der junge Turmfalke
über einen mächtigen, seltsam flatternden Vogel,
der eigentümliche Schreie von sich gab, aber
unerhört schnell nach unten segelte.

Der Priester war auf den engen Stufen nach oben
geklettert - umsonst. Das Bild des Jahres besaß einen
temporären Wert. Gott, und das war die eigentliche
Überraschung, hatte demonstrativ geschwiegen.

Im Hintergrund meines Schreibplatzes erklang
LOLA von den Kinks, als ich diesen Text im
Dezember 1991 niederschrieb. Woher, um alles in
der Welt, nehmen wir solche Assoziationen?

 
 
Eine Nation ist kein Garten Eden.
So schnell wie wilde Rosen
verwelken die Menschen,
wenn ihr Gedächtnis eingesperrt,
ihr Bewußtsein an das Ganze zerstört wird.

Laßt nicht die Erinnerungen auferstehen,
die verlorenen Schlachten,
den Irrtum des Glaubens.
Dem Ganzen ist schwer beizukommen,
es verliert sich, baut sich auf,
hoffnungsvoll rettet es sich in
den anderen Tag.

Eine Nation ist kein Faustpfand des Himmels.
Von der Kruste, auf der wir leben,
gibt es kein Entrinnen.
Es ist wichtig zu wissen, daß in einer
Gemeinschaft der bessere Wille
überlebt.

In jedem Land sind die Berge größer,
die Täler schöner, die Städte unbewohnbarer.
Auf welchen Gemeinsamkeiten bauen
wir unser Leben auf?

Von den Gedanken an bessere Tage
erzählt uns die Erinnerung.
Gemeinsamkeiten
 
 

Erinnerung an einen Helden

Zum Abtransport bereit – Menschen in Vieh-Waggons.
In Boryslaw. Im Osten. Ein hochgewachsener Mann
im Anzug mit Krawatte erscheint, und fordert,
daß seine Juden ausgeladen werden. 19/42.

Und die SS–Soldaten schimpfen – und drohen
Berthold Beitz. Das war der Mann, noch unter dreißig,
Direktor eines Öl–Geschäftes, der sich nicht drohen ließ.

Die Nazis brauchten dieses Öl, und ließen sich auf
seine Wünsche ein, die lebensrettend war‘n.

Gerettet war auch Jurek Rotenberg, vierzehn Jahre alt.
Und beide Männer sahen sich, nach mehr als
siebzig Jahren, in Essen wieder.

Und niemand hat in unserem Land gewußt, daß dieser
große Mann der Industrie ein Held, ein Lebensretter
war, der einem grausamen Regime die Stirne bot.

Nur Jurek Rotenberg hat überlebt; ein Israeli, mit deutschem
Zungenschlag, der seine alte Sprache nicht vergessen kann.

Und auch nicht, wer sein Lebensretter war, ein Deutscher:
Berthold Beitz, den die Geretteten als Held verehrten; hat er
doch einem grausamen Regime die Stirn geboten zu einer
Zeit, als es in solcher Lage nicht üblich, aber hoch gefährlich
war, als Deutscher auch ein guter Mensch zu sein.

 
 
Im Juni 2015 sprach Norbert Lammert
vor der KNESSET in Jerusalem, bezeichnete
die Freundschaft zwischen Israel und
Deutschland als ein Wunder der Geschichte.

Und sagte, daß die Deutschen dankbar sind
für unsere Freundschaft und stolz auf unsere
Partnerschaft mit Israel.

DIE WUNDEN SIND GEHEILT * DIE SEELE
TRAUERT NOCH * DAS LEID WAR GROSS, DIE
SCHULD DER EIGENEN LEUTE GRENZENLOS *
WIR HABEN UNS GESTELLT DER PFLICHT, ZU
SAGEN, WAS ZU SAGEN IST * UND OFFEN ZU-
GEGEBEN, WAS GESCHAH, UND NIEMALS
MEHR GESCHEHEN DARF *

Wie nah Jerusalem doch bei uns liegt, und
eine Bastion mit demokratischem Charakter
ist; und auch bedroht wird von so vielen Seiten,
und jeder glücklich überstandene Tag wie ein
Geschenk empfunden wird, und uns daran erinnert,
wie kostbar unser Leben ist – in Israel und anderswo.
Das zu erleben, erfüllt uns eine Reise nach Jerusalem.
Eine Reise nach Jerusalem
 
 
Apollons heimliche Echos Laß dir, Apollon, sagen, wie ich darüber denke.

Spät hast du den Wagen geschickt,
die Rosse kamen schon früher.
Nun sind wir ein streitbarer Troß:
Wagen, Lenker und Rosse.

Jetzt läßt du uns stürmen ins unermeßliche
Elend der Zeiten, mit Freuden und Leiden.
Was sollen wir ändern? Mit welchen Taten
die Menschen beglücken?

Ein paar deiner Sänger sah ich am Wegesrand
liegen, erschlagen vom Echo der eigenen Stimmen.

Ich weiß, daß dein Bogen gespannt ist.
Es dauert nur eine Sekunde, dann läßt du
die Sehne erzittern, dazwischen liegt unsere Trauer,
das tödliche Echo der Sänger.

Wir waren auch einmal Götter.
Mit deinen eigenen Worten: Zurückgekehrt zu
den Menschen ist der Mensch, der seine Sprache
weiß zu gebrauchen.
Das solltest du uns nicht verschweigen.

Apollon, wann dürfen wir unser Menschsein vergessen?
 
 
Wenn dieser Anfang, von Vergessenheit umhüllt,
verstreut in Feldern, Bergen, Städten,
ein bunter Falter wäre, der die Zeit durchfliegt,
auch Leben heißt, das täglich aus den Sternen fällt,
in Myriaden Träumen weiterlebt, nach Opfern
sucht und Helden findet, vom Rausch des
Glücks beseelt in Armut untergeht, nach ungezählten
Flügelschlä­gen niemals müde wird und auf
dem Wind die Botschaft weiterträgt, die Liebe heißt -
die großen Meere überwindet, weit ins Innere der
Kontinente stößt, erlöst wird von der Hoffnung,
die in den Gedanken wohnt...

... wenn dieser Anfang, der auch Leben heißt,
von dem wir sagen können, daß er wie ein Falter ist,
nicht schon das Ende in sich trägt, das
einem Torso gleicht, der unvollendet uns begleitet,
ein Anfang bleibt, ein Anfang, von Vergessenheit
umhüllt, die schönsten Sinne in uns weckt, die
immer noch im Anfang stecken bleiben, was uns
erschreckt und zu der Frage führt:

Woher der Anfang kommt und was am Ende bleibt,
das unsere Tage überlebt und sagt: Hier war der
Anfang unserer Zeit. Hier haben wir gelebt.

Wir wissen nicht, was bleibt.
Wir wissen nicht, warum das Leben untergeht.
Wir sind so weit von uns entfernt.
Wir kennen uns noch nicht. Und selbst das
Sein erscheint uns fremd, in einem kalten,
fernen Licht.
Was täglich aus den Sternen fällt

Eine Nation ist kein Garten Eden - Nr. 8  

Erstauflage

Die ersten sieben numerierten Ausgaben bleiben beim Team.

Reihe

Cimarron bibliophil, im Prägestempel vom Autor numeriert und signiert.

Buchumfang

250 Seiten

Text/handschriftl. Vermerke/Foto

Gregori Latsch, Cimarron-Team. Das Porträtfoto des Autors liegt in einer Transparenttasche, datiert und signiert.

Gestaltung/Satz/Laserdruck

Doris Hess, Cimarron-Team

Grafiken im Druck bzw. im Original
auf dem Cover

Ralf Biskup, Cimarron-Team

Buchblock

A5-Format, von Hand gebunden.

Papier

Vorsatz Bütten. Innen verschiedene Büttenqualitäten, Fein- u. Transparentpapiere. Schmuckpapier (Zander, Hahnemühle etc.) von Fall zu Fall.

Besonderheit

a) Dieser Doppelband gehört neben den Büchern Nr. 2 u. 4 aus dieser Reihe zu der TRILOGIE des Herzens, der Liebe und der Vernunft.
b) Der Autor hat aus seinen zehn Bänden mit poetischen Texten eine endgültige Auswahl getroffen, die repräsentativ für dieses Genre sein soll. Dazu gehört der Band 14 dieser Reihe: Streifzug durch die Zeit, der die Balladen und Sonette des Autors enthält.
c) Um mit den wegweisenden Texten der poetischen Trilogie alle Literaturinteressierten zu erreichen, bemüht sich das Cimarron-Team, im Kontakt mit etablierten Verlagen, um eine Herausgabe der Trilogie für den Buchhandel. Siehe hierzu auch unsere Ausführungen in der Rubrik Preis für die bibliophilen Ausgaben!
d) Im Anhang gibt das Team bzw. der Autor in den Anmerkungen Auskunft über Zitate und den Entstehungsprozeß einiger Texte.
e) Jeder Band enthält neben dem normalen ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis aller Titel.

Preis

Leinenausgabe 260,00 € - Lederausgabe 320,00 €
(incl. Mwst. u. freie Zusendung innerhalb Deutschlands).

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