An jenem
Tag, als die Deutschen von diesem Ansinnen ihres europäischen
Verbündeten erfuhren, herrschte Karneval in ihrem Land, so lag
es nahe, zunächst die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen –
und darüber zu lächeln, nicht weil es aus Italien kam, nein, das
Begehren der sonnenverwöhnten Mittelmeerbewohner paßte von
seinem Sinngehalt her wunderbar zu einem Vortrag in der Bütt,
doch dort waren alle Plätze schon vergeben und die Reden
gehalten.
Guter Rat war teuer! Internationale
Rechtsexperten vertraten die Ansicht, daß der Nachfolgestaat der
alten Römer wegen einer unglaublich langen Verjährungsfrist dazu
nicht befugt sei. Und überhaupt, ist die Sprache nicht ein
menschliches Gemeineigentum, und wer sich ihrer bedient, spricht
sie, was seine Sache ist, nicht die eines Staates.
Aus: Raus
mit der Sprache
Ich will mehr wissen über den Inhalt
seines Buches, das Kritiker als sein bestes bezeichnen.
Stookenbrok betont, daß er, auch wenn Protagonisten aus früheren
Romanen darin vorkommen, dieses Buch völlig neu gestaltet habe.
Er will zeigen, daß Menschen aus unterschiedlichen Schichten
sich in einer Großstadt oder Metropole wohl fühlen können, ja,
sogar glücklich darüber sind, ein Städter zu sein...
Ich höre seine Antwort kaum, so laut
prasselt der Regen auf das kleine Dach und gegen die Scheiben
des Dubliner Telefonhäuschens. In plötzlicher Erkenntnis
dieser verrückten Lage, die kein vernünftiges Interview mit
einem Star der Literaturszene zuläßt, brechen wir beide in ein
ungestümes Lachen aus, das uns um die schönsten Gedanken bringt.
Aus:
Die
glückliche Stadt
Sie saßen an einem großen runden Tisch;
einer sah den andern. Hinter einem der Männer standen zwei
vermummte Gestalten, die schwere Waffen in ihren Holstern
trugen. Sie bewachten einen an Händen und Füßen gefesselten
Mann, der fünf Menschen qualvoll getötet hatte. Das Gespräch
über die Seele war von einem reichen Mann gesponsert worden; es
fand an einem sicheren Ort statt, und es sollte aufgezeichnet
werden - für die Nachwelt. Das würde sich zeigen!
„Ich kann mich nicht mit dem Gedanken
anfreunden, in einer Runde von Staatsbürgern zu sitzen, in der
sich ein Serienmörder befindet.“ Alle Augen wandten sich dem
Gefangenen zu. „Daher stelle ich den Antrag, darüber zu
entscheiden, ob wir diesen Mann nicht zuerst reden lassen
sollten, um danach das Gespräch ohne ihn unbefangener fortführen
zu können.“ Der Banker erhob als erster seinen Arm. „Ich
stimme dem Antrag zu.“ Der Philosoph folgte ihm. Der
Feuilletonist schüttelte den Kopf und schwieg. Der Politiker
rekapitulierte das Ergebnis. „Ich stelle fest, daß die Mehrheit
meinem Vorschlag folgt. Damit gebe ich das Wort weiter an den
Gefangenen.“
„Wollen Sie wissen, ob meine... Opfer um
ihr Leben gebettelt haben? Ja, das haben sie. Und je länger sie
in meiner Gewalt waren, desto größer war ihr Erniedrigung vor
mir. Aber eine Seele habe ich nicht entdecken können.“ Er sah
von einem zum andern. „Gibt es sie überhaupt!?“
Aus:
Einige Vermutungen über die Seele
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Aphorismen - Auswahl
Er war einer Idee auf der Spur, wie
Demokratieverständnis und Kapitalismus zusammenbleiben, ohne
daß einer von beiden an der Ungleichheit der Verhältnisse
zugrundegeht.
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Ein Bild sagt mehr als tausend Worte,
heißt es. Und eine gute Geschichte kann von Menschen
erzählen, die tausend Bilder nicht sichtbar machen können.
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Nachdem es Gott gelungen war, die
unerfüllbaren Wünsche der Menschen einigermaßen in
vernünftige Bahnen zu lenken, besann er sich eines Besseren,
und leitete sie um in die Gedanken all jener Menschen,
die lange schon vergessen hatten, von einer schöneren Welt zu
träumen.
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Eine alte Sitte: Vor jeder Wiederwahl
einer demokratischen Partei hören wir im Fanfarenton neue
positive Änderungen auf (fast) allen Gebieten des Lebens.
Ein Gebiet bleibt unberücksichtigt – das mit den nicht
eingehaltenen Versprechungen vor der letzten Wahl.
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Traurige und unumkehrbare Situationen des
Lebens aufs zu bringen oder in einem Roman
auszuschlachten – wem ist damit gedient? Warum fällt uns das
Leichte so schwer!
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Als er das elektronische Buch zu ' Ende
gelesen hatte, beschlich ihn der Verdacht, daß sein
Bewußtsein aus der Zeit gefallen war – er vermißte die
Erinnerung an den wohligen Papierkörper eines gebundenen
Buches.
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Über die Eitelkeit des Denkens
schweigen die Philosophen.
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Den großen Drehbuch–Preis des Universums
an all jene, denen wir die Szenen unseres Lebens verdanken,
ohne die Rollen einstudiert zu haben.
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Diamanten wissen nichts von ihrem Wert.
Und auch das Geld hat keine Beziehung zu sich selbst.
Kostbarer als alle diese Dinge erscheint mir das Leben.
Seine flüchtige Natur besitzt einen unschätzbaren Wert: Sie
ist nicht käuflich und entwickelt einen einmaligen
Charakter.
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Nicht zu lange ins Innere horchen,
wenn das Alter uns erreicht hat. Manche Signale sind ein Echo
der Erinnerung an die Zukunft.
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Unsere Gedanken über die Dinge und
Menschen sind auf kleinen Booten zuhause; sie schwimmen
auf einem Meer, dessen Horizont der Himmel ist – und darin
verschwinden sie. Es gibt einen Hafen, in dem sich alle Boote
treffen. Das muß der Ort des Sammelns sein – oder der
Geschwätzigkeit. Was wäre uns lieber?
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Sterbliche sehnen sich eher nach
einer besseren Aussicht auf das Ende der Zeit.
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Glücklich der Mensch, der in Musik
sein anderes Ich zu erkennen sucht.
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Was bedeutet es schon, weitere
Kenntnisse über das Leben zu sammeln! Es sind doch nur neue
bunte Flicken zum Kleid unserer menschlichen Eitelkeit.
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