Cimarron bibliophil
falc
Roman - Textumfang
248 Seiten
LiteraNoir
Sie hat es also getan, überlegte er. Aber auf welchem
Wege? Und wohin hat sie sich geflüchtet? Das wird sich zeigen. Sie muß eine
Botschaft hinterlassen haben; seine Gedanken überschlugen sich, er beschleunigte
die Schritte. Ihr kleines Apartment befand sich im Wohnungsdistrict der
Klinikmitarbeiter, in Rufnähe zu seiner Wohnung, was im Kalkül seiner Beziehung
zu ihr lag. Ungeduld trieb ihn voran. Endlich stand er vor ihrer Tür. Er
drückte den Code in die Tastatur des Schlosses, die Tür sprang auf; Fuchs war
unruhig geworden, ein neuer Gedanke, weniger angenehm, belastete ihn: Sie hat
ihrer Zeit ein Ende gemacht. Dazu bedurfte es keiner großen Umstände, sie besaß
das Zutrittsrecht zur pharmakologischen Abteilung, dort gab es genug Mittel, die
sie auf sanfte Art einschlafen ließen... Er schüttelte sich, während er durch
ihre Wohnung hastete. Dieser Gedanke vergrößerte seine Unruhe. Eine Botschaft
fand er nicht; sie ignoriert ihn, dachte er, er verdient es nicht anders. Er
liebt sie nicht, er hat sie nie geliebt. Er dachte an Professor Schneefeld.
Fuchs war mehr um sie besorgt, das fühlte er so stark, daß ihm Schweißperlen auf
die Stirn traten. Er warf einen letzten Blick in die Schränke und Schubladen,
sie waren prall gefüllt mit Kleidungsstücken und Wäsche. Das ist ein gutes
Zeichen, dachte er, im gleichen Moment verwarf er den Gedanken. Sie kann nicht
organisieren, sie ist wenig selbständig, sogar um ihre Wohnung kümmert sie sich
kaum, die wöchentliche Reinigung liegt in anderer Hand.
Professor Schneefeld war aufgestanden und vor dem hinter ihm liegenden Fenster
stehen geblieben. Fuchs beobachtete ihn mit einem verschwiegenen Lächeln. Auf
diesen Augenblick hatte er lange warten müssen. „Ein zweites Mal darf uns das
nicht passieren“, sagte Schneefeld, während er in den Garten sah. „Wir werden
sie klinikfest machen.“ Das bedeutet nichts Gutes für falc, dachte Fuchs, dem
auffiel, daß der Professor von seiner sonst üblichen Redewendung abgewichen war.
Normalerweise sprach er von einem Behandlungsfall, das war eine unauffällige
Definition eines Vorganges, der für den Betroffenen eine lebenslange
Abhängigkeit von der Maschine bedeutete. „Haben Sie am Ende des Gespräches
seine Unsicherheit bemerkt?“ Fuchs nickte schweigend. Er wartete auf
Schneefelds erlösendes Wort, danach würde er nicht eher ruhen, bis er falc
gefunden und sie in die Klinik zurückgebracht hätte. „Sie dürfen sich auf
keinen Handel mit ihm einlassen. Sie wird bald volljährig sein, Sie wissen ja,
was das bedeutet...“ Er setzte sich wieder an den Schreibtisch. „Wir haben uns
soviel Mühe mit ihr gegeben, warum tut sie das? Waren wir nicht wie gute Freunde
zu ihr? Sie hätte uns ihre Sorgen und Nöten anvertrauen können, das hatte sie
als Kind schon getan. Ich bin sehr enttäuscht von ihr. Das können Sie ihr sagen,
wenn Sie sie finden.“
Viktor schüttelte lächelnd den Kopf. „Sagtest du
Laura?“ „Ja, Laura. Du kennst sie?“ „Ich kannte sie. Moritz, Laura lebt
nicht mehr. Hat sie dir das nicht gesagt?“ Moritz machte ein betrübtes
Gesicht. „Ja..., sie lebt jetzt woanders, wie sie...“ Viktor fiel ihm ins
Wort. „Nein, Moritz, Laura ist tot!“ „Ich weiß! Ich weiß! Aber sie... will es
nicht wissen. Wie ist sie gestorben?“ „Das ist top–secret.“ „Was heißt
denn das?! Willst du nicht darüber reden, oder kannst du nicht?“ „Ich...
darf... es nicht!“ antwortete Viktor, seine Worte unterstreichend. „Ich bin
zuständiger Leiter der technischen Abteilung dieser Klinik. Ich muß mich loyal
verhalten. Verführ mich also nicht zu einem Vertragsbruch, das könnte für uns
beide unangenehme Folgen haben.“ Moritz war aufgestanden und dicht an Viktor
herangetreten. „Du deckst solche Schweinereien?“ Einen Moment zögerte Viktor
mit der Antwort. Er legte beruhigend eine Hand auf die Schulter seines Freundes,
dessen Empörung er gelassen aufnahm, dafür kannten sich beide zu gut. „Wir
leben im zweiundzwanzigsten Jahrhundert, vergiß das nicht! Und es gibt Wesen,
deren Vorfahren Zellkulturen waren, was vor einhundert Jahren niemand für
möglich gehalten hätte. Daß wir zwei noch völlig normal gezeugt wurden, macht
uns nicht glücklicher – oder? Natürlich glauben wir, einzigartig und etwas
Besonderes zu sein, doch bei unserer geschlechtlichen Zeugung war die genetische
Zusammensetzung des Erbgutes nicht vorhersehbar. Macht nichts, kannst du sagen,
Risiken lassen sich ja korrigieren. Bei allem Respekt vor der hohen Kunst der
Genmanipulation, Moritz, du weißt es genauso gut wie ich, wir sind mehr als die
Summe unserer Gene.“ Er nahm die Hand von Moritz’ Schulter und wandte sich
zur Seite. Mit gesenkter Stimme fuhr er fort: „Laura war ein Produkt extremen
wissenschaftlichen Strebens. Mit anderen Worten: Sie war ein gewagtes
Experiment...“
„Fuchs...“, sagte Moritz leise. „Zu dieser Zeit...“ Der Morgen verlor seinen
schönen Zauber, eine graue Wolke schien den Himmel zu bedecken. Der Duft des
Kaffees irritierte Moritz; egal wie die Begegnung mit Fuchs ausgehen würde,
dachte er, danach werden wir Mühe haben, zu uns zurückzufinden. Ihr
unerwünschter Besucher stand wie ein gereiztes Tier vor ihnen. falc wußte am
besten, wie gefährlich er war. Schneefeld hatte ihn lange Jahre zu einer
Kampfmaschine ausbilden lassen, bis Fuchs sich davon befreite; geblieben war ein
harter, wilder Kern in ihm, den er nach Belieben aktivieren konnte. Er sah
verächtlich auf den liebevoll gedeckten Tisch. „Störe ich?!“ Das hörte sich
vorwurfsvoll und gemein an. Moritz sah zu falc, die ihr Brötchen immer noch
hochhielt, als wollte sie, unbeirrt von allem, gleich hineinbeißen. „Nein!“
sagte Moritz hastig. „Nein, natürlich nicht!“ Fuchs umkreiste die beiden, bei
Moritz blieb er stehen. „Wissen Sie auch, warum ich gekommen bin?“ Moritz
schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung!“ Fuchs musterte die leckeren Zutaten zu
den Brötchen. „Es wird wohl nichts mit dem gemeinsamen Frühstück.“ „Wie
meinen Sie das?“ entfuhr es Moritz, der sich nicht vorstellen konnte, falc zu
verlieren, sich von ihr vor ihrem gemeinsamen Frühstück zu trennen. Fuchs
tänzelte zu falc, lauernd blieb er neben ihr stehen. Erst jetzt legte falc ihr
Marmeladenbrötchen auf den Tisch zurück. Sie erwartete nichts Gutes. Wieviel
Hoffnung braucht der Mensch, um nicht zu verzweifeln? Das war ein anderer Satz,
den sie an einer Säule in der Klinik gefunden hatte, und der ihr das Dilemma
vorführte, in dem sie sich befand. „Ich will, daß du mitkommst“, sagte Fuchs
fordernd. Er richtete sich aus der gebeugten Haltung auf und zeigte ein
triumphierendes Grinsen. „Es ist soweit, ich habe alles vorbereitet! Wir haben
neue Namen, unsere Daten sind gelöscht und vernichtet! Wir haben nie für sie
gelebt!“
Der erste Mann beachtete ihn kaum, er lief an Moritz vorbei ins Haus und
entdeckte am hinteren Ende des Raumes Anna und falc, die sich erhoben hatten und
mit gemischten Gefühlen dem friedlichen Überfall der kampferprobten Helden
zusahen. Es gab nicht viel zu bereden. Nachdem die Männer erfahren hatten,
welchen Wagentyp Fuchs benutzte und wohin er womöglich gefahren sein konnte,
falc erwähnte die nahe Großstadt, in der Fuchs untertauchen wollte, stürmten die
Männer in gleichem Tempo aus dem Haus, sprangen in den mit kreischenden Rotoren
wartenden Hubschrauber und schwebten grußlos davon. Einen endlosen Augenblick
lang saßen die drei schweigend und in sich versunken vor dem Frühstückstisch,
bis Anna zaghaft nach der Kaffeetasse griff und den ersten Schluck nahm. Sie
stellte die Tasse auf dem Unterteller ab, ein feines Klirren ließ falc und
Moritz unmerklich zusammenzucken. „Ihr hättet eher frühstücken sollen“, sagte
Anna mit einem aufmunternden Blick, „dann wäre dieses Malheur vielleicht nicht
geschehen.“
„Was denkst du, werden wir am Morgen durch die Flure laufen und nach dem
roten Ball suchen? Wenn wir ihn gefunden haben, weiß ich ein neues Spiel.
Vielleicht dürfen wir auf die Wiese... Erinnerst du dich an die Blumen, sie
waren so klein wie unsere Finger.“ Sie lächelte glücklich. „Ich weiß, woran du
denkst, der schwarze Vogel hatte uns begrüßt, er war aus dem Baum zu uns
geflogen. Er kannte unsere Namen: Laura und falc. Als wir ihm nachliefen,
verschwand er. Wie gern wären wir ihm gefolgt. Sei nicht traurig, falc, hast du
gesagt, wenn es uns in den Fluren zu langweilig wird, fliegen wir ihm nach. Er
kennt ja unsere Namen, und er weiß, wie gut wir uns verstehen. Am Abend, wenn
sie das Licht ausschalten, sage ich dir, wo sein Zuhause ist. Er lebt nicht
allein. Er hat Geschwister, denen er von uns erzählt. Morgen verläßt er mit
seiner Mutter das Nest, sie fliegen zu uns, sie kommen auf unsere Wiese! Wir
haben die kleinen weißen Blumen gepflückt... und erwarten sie. Wir haben einen
weißen Blumenkranz geflochten, den schenken wir der Vogelmutter. Sie hebt ihn
mit ihrem Schnabel auf und läßt ihn auf deinen Kopf fallen... Willst du meine
Tochter sein?, fragte sie. Warum nicht?, sagtest du. Ich wäre so gern ein
Vogelkind, dann könnte ich weit in unserem Garten herumfliegen - und am Abend im
Nest bei meiner Mutter sein.“ Eine Pause entstand. Moritz konnte falcs
Gesicht nur undeutlich erkennen. Erst als sie den Kopf von der Puppe hob und
ihre Blicke gedankenverloren im Raum kreisen ließ, bemerkte er ein
eigentümliches Lächeln auf ihrem Gesicht, das ihm wehmütig und fremd erschien.
Zum Titel:
Wie ist es möglich, ein Bild der Zukunft zu sehen
(wir schreiben das Jahr 2139), ohne sich darüber zu wundern, daß wir uns
kaum geändert haben?
falc – Nr. 3 |
Erstauflage |
Die Ausgaben 1-7 bleiben beim
Cimarron-Team. |
Reihe |
LiteraNoir, Cimarron bibliophil, im Prägestempel vom
Autor numeriert und signiert. |
Text/handschriftl. Vermerke/Foto |
Gregori Latsch, Cimarron-Team. Das
Porträtfoto des Autors liegt in einer Transparenttasche, datiert und
signiert. |
Text |
Roman. |
Buchumfang |
248 Seiten |
Buchblock |
A5-Format, von Hand gebunden. |
Papier |
Vorsatz Bütten.Innen Büttenqualitäten
und/oder Feinpapier, Premium-Transparent, klar. |
Gestaltung/Satz/Laserdruck |
Doris Hess, Cimarron-Team |
Einband |
Leinen- oder Ganzledergestaltung |
Bilder |
Im Innenteil und auf dem Cover wechselnde
Grafik-Motive bzw. Originalfotos. |
Preis |
Leinenausgabe 360,00 € - Lederausgabe 450,00 €
(incl. Mwst. und freie Zusendung innerhalb
Deutschlands) |
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