Die SIEBEN THESEN von Gregori Latsch eröffnen das erste Heft und siebzehn weitere Wortverliebte begleiten diesen Anfang, frei nach einem Aphorismus: Das Recht auf seine eigenen Gedanken ließ er sich durch keine anderen ersetzen. – Sogar HAFIS; der große persische Dichter des 14. Jahrhunderts, weiß dazu etwas zu sagen. – Und fast am Ende erscheint die erste Attacke: Wir werden den Krieg gewinnen! – Doch die Poeten träumen weiter – und sitzen in der Nacht auf kalten Bänken, um der Musik des Regens zuzuhören, sie stöbern gern in Antiquariaten und suchen nach dem Wort der Wörter, und wenn sie schlafen, sind sie bunte Vögel, die sich nach grünen Wäldern sehen. 1978. Vor vierzig Jahren. Was hat sich seither geändert?
   

Chile, Juli 75 – Was R. Lindner auf der ersten Seite des Heftes dazu sagt, ist nie mehr wieder poetisch so klar ausgesprochen worden. – Dieter Konrad, Grafiker und Maler, gestaltet nun CIMARRON – unser wichtigster Mann im Team neben Harald K. Hülsmann. – Kennen Sie Lee Kyu Bo? Er hat im 12. Jahrhundert in Korea gelebt. Dr. P. Höschele vom Goethe Institut in Seoul hat ein zauberhaftes Gedicht von ihm ins Deutsche übertragen. Und Heu Ljong Lim schuf dazu eine ganzseitige Kalligraphie. – Die Grafik-Seite gehört Harald K. Hülsmann, danach folgen sechs erotische Seiten; und HAP GRIESHABER ist mit einer großen Ballade dabei. – Ich wiederhole: Dieser Mann hat nie gelebt. – Das Ende der zweiten Attacke. Wen hat Latsch damit gemeint?

   
Es ist vielleicht unser schönstes. - G. Jörgensen spricht über eine ängstliche Vision. – Miro Ljubicic will nur eine weiße Chrysantheme auf seinem Grab. – Wolfgang Nastali zeigt uns die Verlorenheit eines Bettlers. – HAP GRIESHABER überrascht uns mit einer Kriegsgeschichte: 1942. – Gleich zwei Griechen: ARISTAINETOS (Brief einer Hetäre) und THEOPHRAST (Der Taktlose) erinnern uns an die Anfänge unserer Kultur. – Stefan Napierski, Julian Tuwim, Oskar Wilde, Rolf Schütte und Gregori Latsch üben sich in der Kunst des aphoristischen Plauderns. – La Bruyére spricht von den Frauen. – Und Frederic A. Lubich’s Ballade richtet sich an eine Nymphe. – Am Ende erwarten uns Rolbert Walser 1978 und Stockendorf. Was geschah in Stockendorf? Gibt es Schuldige? Wer sind die Schuldigen? Können Sie nachlesen. In der Attacke.
   
Nostalgie! Janusz Oseka’s Geschichte: Das Gebet des Funktionärs (übersetzt von Karl Dedecius) erinnert uns daran, daß die „Wende“ noch elf lange Jahre auf sich warten lassen sollte. – Daß Jesus von Nazareth Dichter, Prophet und Revolutionär war, versucht Prof. Dr. Heinrich Weinel auch mit Zitaten unseres HERRN zu belegen. – Zu drei bitterbösen Grafiken von Rainer Hofmann versuchen Jerzy Lec und Gregori Latsch ihre aphoristischen Zitate beizusteuern. – Auch Hayatulla Hübsch versucht aus dem Geiste des Islam uns klarzumachen, daß es nur einen Gott geben kann – und das ist Allah, und Muhammad ist sein Gesandter. – Den 23. Psalm gibt es in zwei neuen Versionen! – Überhaupt versuchen fast alle in diesem Heft, dem Schwerpunkt Glauben eine gläubige Variante abzugewinnen. Siehe Titelbild von K.H. Feyen! – Und am Ende erwartet uns eine neue Attacke. Attacke!
   
S.M. Fahrendorf bespricht neue Gedichtbücher von Ralf Thenior und Beat Brechbühl. Lesenswert… beide Besprechungen. – So viele wunderbare poetische Texte! Wer erinnert sich noch an sie? In jedem ihrer Poeme steckt eine kleine Geschichte: Gerhard Jörgensen. Ursula Haas. Michael Urban. Lothar Scheid. Rainer Maack. Arno Pracht. Günther Theobald. Reiner Gödtel. Harald K. Hülsmann. Lothar Reese. Peter Beicken. Wolfgang Nastali. Frederick A. Lubich und J.W. von Goethe. – Von dem Frankfurter Weimaraner (?) gibt es ein erotisches Langgedicht, dazu schuf Dieter Konrad ein erotisches Rankenwerk und das Titelbild zur Nr. 5 – vier Seiten lang! Was werden die Germanisten und Goethe-Fans nur dazu sagen? – Danach zeigt uns Hans-Joachim Burgert, der große Maler und Typograph, wunderbare Frauengestalten, die Flauberts: Kleine Fantasia begleiten, in einem seiner bibliophilen Meisterwerke. – Dagegen verliert selbst Latsch’s Schluß-Attacke.
   
Was für ein Vergnügen, über Politik zu lesen, ohne an Politiker denken zu müssen! – Und dann Heinrich Heine und Frederick A. Lubich, beide sprechen über Deutschland – Ein Wintermärchen. – Helmut Schmidt bekam schon früh eine poetische Hommage. Und Gerd Peter Merk sagt in einem Langgedicht, was seine Sache ist. – Gerhard C. Krischker erinnert uns in einer zauberhaft volksnahen Weise daran, was uns alle angeht – und worin wir wirklich stark sind, wenn wir es wollen. – Manfred Boos, Will Knoke und G. Jörgensen sagen es auch, ein wenig leiser… – Mit der letzten Attacke: Am Tag, als Iljuschin kam beendet CIMARRON seine Karriere. Vierzehn Jahre später standen wir erneut auf den alten poetischen Beinen. Und wer weiß, ob nicht eines Tages CIMARRON als Zeitschrift wiederaufersteht. Diese Zeit ist reif dafür.
   

Die Zeitschriften sind 1978 in einer Auflage von 300-500 Exemplaren je Heft erschienen.

Nach wie vor hinterlassen sie auch vom äußeren Erscheinungsbild her einen frischen und ästhetischen Eindruck. Die ersten beiden Ausgaben sind geklebt, die übrigen geheftet.

Das Besondere: Alle Ausgaben erhalten auf der ersten Heftseite den Cimarron-Prägestempel.

 

Preise

 
   

Ein Bestseller

Die Memoiren
des Uhrmachers Podratzky
haben Aufsehen erregt.

Literatursachverständige
rekapitulieren:

Ein mittelmäßiger Schüler.
Ein folgsamer Lehrling.
Ein fleissiger Uhrmachergehilfe,
vereidigt auf Präzision.

Kein Mitläufer gewesen,
kein Verfolgter
irgendeines Regimes.

Kein Soldat gewesen.
Nicht einmal Volkssturm,
da körperbehindert.

Niemals verliebt gewesen
über den Durchschnitt.
Keine Fremdgänge.

Sechsundvierzig Jahre lang
Uhren zerlegt,
Uhren entstaubt,
Uhren zusammengesetzt.

Nichts Nennenswertes erlebt.
Und dann dieser Bestseller.
Unglaublich.

Nur immer die Uhrzeit
vor Augen gehabt.
Nur immer gewußt,
wie spät es ist.

AUTOR: WALDEMAR DIEDRICH

Naive Fragen

Wir reden
alle
mit dem Kopf
wir diskutieren und
analysieren
wir strukturieren und
implizieren
wir emanzipieren und
koitieren.
Wann
werden wir
uns wieder
etwas zu sagen haben.

AUTORIN: HELGA OSSWALD










Zwölf poetische Beispiele
aus dem Jahre 1978,
die in der obigen
Zeitschrift erschienen sind.
   
Spätvorstellung

Nach der Spätvorstellung
Sitzt die Pistole locker.
Breitbeinig gehen wir durch
Die Stadt,
Die uns gehört,
Bis zur nächsten Kneipe,
Stellen uns vor,
Wir seien der Spion,
Der aus der Kälte kam,
Um Handkantenschläge zu verteilen.
Aber nächste Woche
Gibt es einen knallharten Porno,
Was dann, Frau Mutzenmacher?

AUTOR: WOLFGANG BITTNER
2. glaube

ein halunke soll guillotiniert werden. der gefängnis-
direktor ist da, der anstaltsgeistliche, der anwalt.
er hält den kopf hin. klack! es geht nicht. ein
neuer Versuch. klack! eine panne. die scharfrichter
versuchen, die guillotine zu reparieren, ohne erfolg.
da sagt der verurteilt: „darf ich mal?‘ ich bin ein
ausgekochter halunke.“ er repariert fünf minuten an
der guillotine. ,jetzt müßte es wieder gehen.“ - „das
glaube ich nicht!“ sagt einer der scharfrichter.
„wenn sie von ihrem glauben überzeugt sind, halten
sie ihren kopf doch hin“, sagt der halunke. der
scharfrichter legt seinen kopf in die rundung.
klick! der kopf rollt in den korb.
„sehen sie“, sagt der halunke, „so weit bringt einen
der glaube!“

AUTOR: BERND PHILIPPI
   
Chile Juli '75

warum nicht einfach
mal hinhören?
könnten die schreie
nicht erstickt worden sein?

warum nicht einfach
mal hinsehen?
könnte das lachen
nicht erzwungen worden sein?

warum nicht einfach
mal reinriechen?
könnte der verwesungsgeruch
nicht überdeckt worden sein?

warum nicht einfach
mal nachdenken?
könnten dort nicht menschen
auf unsere hilfe warten?

warum nicht einfach
mal handeln!?

AUTOR: R. LINDNER
Sehnsucht - revisited

Möchte mein Leben mit Liedern umranken,
mein Lieben, mein Leiden mit Versen durchwühlen,
mich wie ein Flohmarkt in reichen Frauen
einnisten und wohl mich in ihren kostbaren Pelzen fühlen.

Mit Clochards die Schlösser Europas erobern,
um die Hand der Venus von Milo werben,
in alten Kleiderschränken meine Phantasien austoben
und schließlich wie ein Museum feierlich sterben.

Und wieder auferstehen wie eine Osterprozession,
das Volk mit Orgasmen und Blumen segnen,
in Kneipen mit Freunden über Männer und Frauen reden,
und mir selbst im Lachen der andern begegnen.

Meine Tränen mit dem Wein reifer Trauben vermengen,
wie der Winter das Geheimnis des Frühlings verstehen,
und arm wie eine Pusteblume im Sommer
ins wolkenlose Himmelreich wehen.

AUTOR: A. LUBlCH (USA)
   
Bettler

Dieser Nichtseßhafte
mit dem grauen Vollbart,
ungebrochenen Augen,
der die endlose Straße
wie seine Heimat benützt,
auf Behördentreppen sitzt
und kaltes Bier trinkt,
der die Kaufhäuser meidet
weil sie nichts von ihm wollen,
der um eine Zigarette oder eine
noch wegzuwerfende Kippe bittet:
weil er schon jahrelang
keine Lippen mehr gespürt hat,
der um Geld fragt
und Arbeitslager hört,
der seine Lieder
ergrauten Straßen anbietet.
Über die nichtseßhaften Augen
gebrochen Eilender lächelt.

AUTOR: WOLFGANG NASTALl
Interview

Wie gewinnen Sie die Einfälle für Ihre Gedichte?
Meine Gedichte existieren
als unentdeckte Inseln
im Pazifik der Leidenschaften.
Ich hab sie nur zu entdecken und
auf der Karte einzutragen.

Was braucht man, um solch eine Insel zu entdecken?

Ein sturmfestes Boot
der Dreistigkeit,
einen biegsamen Mastbaum
des dichterischen Gedankens,
volle Segel
- selbständigen Alltagswahrnehmens,
Proviant- und Wasservorrat
an Lebenseindrücken,
den erprobten Kompaß
der Überzeugungen,
ein starkes Fernglas des Zukunftsfühlens
und ein bißchen Glück!

Wie kommt es, daß der Leser Mitentdecker ist?

Das macht
die Hochseefahrkarte.
Nur Andeutungszeichen,
nur das Versprechen
von mancherlei Entdeckungsfreuden
stehn drauf.
Je vieldeutiger diese Zeichen,
desto mehr Anwärter mit Anspruch
auf den einzig richtigen Kurs!
Bemerkenswert ist,
daß alle Recht haben
und jeder am Ende lautstark vorstößt:

Terra incognita!

AUTOR: ARNO PRACHT
   
arm sein

auf einer Auktion
wurde heute
ein kafka-brief
für 17.000 dm
versteigert
heute kann ich
von meinem geld
keine 50 pf für
eine briefmarke
abzweigen
so bleibt der
liebesbrief
an meine freundin
noch einige tage
bei mir

AUTOR: LOTHAR REESE
Gutenberg, mein Mädchen und der Bibelbaum

Johann Gutenberg, deine Bibel,
die große, mit dem
Trauerflor
ewiger Schönheit,
ist über Nacht zu einem
riesigen Baum
geworden,
hat sich zurückverwandeIt,
trägt wieder Blätter
im Frühling,
erlebt die verwirrende Hitze
im Sommer,
den Sturm im
Oktober
und die wilden Fröste
im Januar.

Heute ist Vollmond -
und ich sitze mit
meinem Mädchen
unter diesem
schönen Baum.

Gerade, als wir uns
lieben wollen,
dringt aus seinem Körper
die ewige Schönheit
deiner verästelten Ranken -
sie zieht mein Mädchen
in den großen Bibel-Baum.

Aus mit der Liebe. Gutenberg,
Gutenberg. was hast du mir angetan!

AUTOR: GREGORI LATSCH
   
Der Trapper

Aus den Savannen
kommt er geritten
mit heißem Gesicht
das Gewehr auf dem Rücken
er hätte noch weiter gejagt
aber seine Mutti hat gesagt
wenn die Lampen ausgehn
kommst du nach Haus

AUTOR: RALF THENIOR
in unseren Tagen

die kleinen wahrnehmbaren
verän derungen
die wir lächelnd schlucken
falls wir sie erkennen
sie sind der wahre horror
unserer tage

AUTOR: WILL KNOKE
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